Usbekistan: Zwei Männer aus Taschkent – Mit dem Kasachstan-Express von Taschkent an die Wolga

Reisereportage Usbekistan: Zwei Männer aus Taschkent – Mit dem Kasachstan-Express von Taschkent an die Wolga

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Mit der Eisenbahn unterwegs von Taschkent in Usbekistan durch Kasachstan nach Samara an der Wolga. Ungewöhnliche Begegnungen auf zentralasiatischen Bahnhöfen. 

Was habe ich mich schon auf Bahnhöfen herumgedrückt. Von da nach dort will ich reisen und so warte ich und warte ständig auf irgendetwas, auf irgendjemanden. Und genau in solchen Momenten geschieht das Ungewollte, jenes Vertraute tritt in mein Leben. Und kaum habe ich dagestanden, spricht mich ein Usbeke an: »Sie sind doch derjenige, der uns die Tasche repariert hat.« Ich reagiere etwas abweisend und verspüre keinen Hauch einer Lust mich zu unterhalten. So manches Mal entpuppten sich derartige Bahnhofsbekanntschaften später als schlichte Bettelei. Doch der schwarzhaarige Herr bleibt hartnäckig: »Sie waren das, der uns die Tasche mit Klebeband verschlossen hat.«

Batyr und Salai

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Und ich erinnere mich, flüchtig an zwei Männer auf dem Bahnhofsvorplatz von Samara, an Batyr, den Lehrer und seinen Freund Salai, den Arzt aus Buchara. »Diesmal bist du nicht allein«, sagt Batyr: »Deine Frau?« In meiner Unachtsamkeit habe ich ganz vergessen, Dina vorzustellen. Sie reichen einander die Hände. »Habt ihr die Grenzen gut überstanden?« fragt er.

»Die üblichen Kontrollen«, antworte ich.

»Vor zwei Jahren kamst du gerade aus Taschkent, und wir, Salai und ich fuhren zurück.« Damals waren die Kontrollen in Kasachstan besonders schlimm. Die Grenzer hatten Salai die gesamte Tasche zerrissen. Ihrer Meinung nach hatte er sie nicht schnell genug geöffnet. Da wurde schnell ein Messer gezückt. »Du flicktest seine Tasche mit Klebeband«, erinnert Batyr. Und wie damals unterhalten wir uns noch eine Weile über die Familie, das Leben in Usbekistan und wie damals fährt ihr Zug ebenfalls zuerst ab. Batyr reicht Salai die Taschen, die blau karierte ist auch dabei, in den Zug. Noch einmal schütteln wir unsere Hände und Batyr meint: »Vergangene Woche seid ihr als Touristen in Taschkent gewesen, das nächste Mal kommt ihr als Gäste.« Und als der Zug den Bahnhof verlässt, halte ich seine Adresse in der Hand.

Glücklich das unser Zug ebenfalls bereitsteht, eine Stunde vor seiner Abfahrt steigen wir ein. Wir betreten ein Zweibettabteil, hübsch mit grünen Decken, zwei Teeschalen und eine Kanne stehen auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster. Es ist sauber. Und kaum haben wir uns eingerichtet, da ist es vorbei mit der Ruhe. Zwei Beamte betreten unser Abteil und überreichen uns die Zolldeklarationen, jeweils in zweifacher Ausführung. In usbekisch. Wir schauen uns an und verstehen kein Wort. »Möchten sie lieber eine russische Ausführung?« fragt der Zollbeamte, und er erklärt uns gleich, wie wir sie auszufüllen haben. »Was, mit so wenig Geld reisen sie?« stutzt er.

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»Ja«, antworte ich.

»Und das Hotel, das Essen und die Souvenirs?«

»Hotel und Essen ist bezahlt und Souvenirs kaufen wir uns nicht.«

»Und diese Fotokamera«, fragt er weiter.

»Das ist eine Alte«, erkläre ich, »diese hier ist bei allen meinen Reisen dabei.«

»Aha«, brummt er und gibt uns die Pässe zurück.

Der Provodnik, Zugbegleiter, stellt sich als Igor vor. Er wird uns von Taschkent nach Samara begleiten, für alle Fragen und Wünsche zur Verfügung stehen. Er teilt die Bettwäsche aus. Diesmal verlangt er keine 600 So‘m, dabei haben wir uns diese extra aufgehoben. Was machen wir jetzt damit? Doch ein Souvenir? Wir überziehen unsere Kissen und breiten unser Nachtlager aus. Dann lässt Igor sich unsere Billets zeigen. »Da sind sie nun zwei Nächte in der Bahn«, sagt er.

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Durch die Grassteppe

Wir haben gut geschlafen. Und zum ersten Mal erklimmt die Sonne in tiefem Rot den Himmel. Langsam rattert der Zug über die Gleise, wiegt uns in den Liegen hin und her, auf und ab. Die Landschaft durch das Fenster betrachtet, verändert sich kaum. Grassteppe. Kleinwüchsige Büsche trotzen dem steinharten Boden und entwickeln eine erstaunliche Zähigkeit zum Überleben.

Von Zeit zu Zeit blicken wir nach draußen, Kamele weiden. Mal mit zwei, Mal mit einem Höcker. Die Könige der Wüste, erstaunlich genügsame Tiere, die das Wasser bis zu 14 Tagen speichern können. Außerdem besitzen sie die Fähigkeit aus der kleinsten Pflanze noch den letzten Tropfen dieses kostbaren Nasses herauszupressen.

Nahe des Ortes Baygakum verliert der Zug deutlich an Geschwindigkeit. Rechts, aus Moskauer Sicht, wird ein Mensch zu Grabe getragen. Der Vorbeter schreitet voran, die schwarz Gekleideten hinter den vier Sargträgern, bekreuzigen sich mit jedem Schritt. Bald wird sich der Sarg senken. Leute geben eine Handvoll Erde in die Grube und eine Stimme sagt: ,Im Namen Gottes und im Glauben an seinen Propheten …’ Das Leben geht weiter, ein anderes zu Ende. Schon von Weitem sind diese Gräber zu erkennen, die unser Interesse wecken, seltsame Ziegelbauten, die kleinen Moscheen ähneln. Wir entdecken sie als gewaltige Friedhöfe, zeigten sich zum größten Teil stabiler erbaut als die meisten Wohnhäuser. Oft können wir Menschen entdecken, die in Jurten leben. Das Leben scheint einfach. Sie leben zurückgezogen, in Eintracht mit ihren Nachbarn, treffen sich zum Abendessen oder zum Tee trinken.

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Am Bahnhof Ksyl-Orda herrscht geschäftiges Treiben. »Der Zug kommt«, hört man die Kinder rufen. Gepäckstücke werden gestapelt, Waren transportiert und die fliegenden Händlerinnen positionieren sich um die Waggontüren: »cholodnaja woda«, »piwo«, »moroschenoe«, immer die gleichen Dinge, sogar Geld wollen sie tauschen. Doch das dürfen wir nicht, für jeden Umtausch muss eine Quittung amtlich genehmigt werden. Die Kinder sind am geschäftigsten, sie arbeiten, verkaufen, bieten feil. Müssen sie nicht zur Schule? Macht ihnen diese Tätigkeit Spaß? Schon eine Frage danach wird missachtet und sie wollen gleich ein Geschäft abschließen. Wir beobachten, dass die Eltern ganz in der Nähe sitzen, sie antreiben. Sie sollen bei uns Mitleid erregen. Gleich kommen noch einige Jungen angerannt, barfuß. Manche haben die Schuhe extra ausgezogen, andere haben tatsächlich keine. Nun erwarten sie mit ausgestreckter Hand ihren Anteil. Doch das Gegebene wird ihnen von ihren Eltern sofort abgenommen. Das Abfahrtssignal ertönt, durch die Lautsprecher kreischt eine unverständliche Stimme, der Zug verlässt den Bahnhof, die Menschen räumen den Bahnsteig und gehen ihrer Arbeit nach. Die Kinder trieben die Kühe über die Weide und Frauen hackten im Garten.

Draußen vor dem Fenster hat sich das Bild noch immer nicht geändert, die Grassteppe zieht an uns vorbei, darauf die Kamele und Rinder, von Zeit zu Zeit ein paar Pferde, und am Horizont taucht ein einsamer Reiter auf. Der Sand, dem wir auch im Zugabteil kaum Herr werden, wechselt seine Farbe vom gelb zum rot und wieder zurück. Das Kosmodrom Baikanur versteckt sich irgendwo und der sterbende Aralsee liegt zurückgezogen in der kasachischen Steppe. Bald werden die Gräser größer. Für eine Weile begleitet uns ein Fahrzeug auf der vorbeiführenden Landstraße. Und der Tag neigt sich dem Ende.

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An der Grenze zu Russland

Sechs Uhr morgens. Der Tag ist in vollem Gange. Auf dem Bahnsteig von Yaysan tummeln sich die Grenzsoldaten. Kommandieren, aufmarschieren, spionieren, dirigieren. Keiner weiß, was zu tun ist, aber alle tun, als ob es zu tun wäre. Taschen werden durchwühlt, deren Unordnung hergestellt. »Sehen sie zu wie sie ihren Sachen wieder einräumen, aber machen sie schnell und klemmen sie sich den Rest unter ihren Arm«, hören wir, »Der Nächste bitte, schnell, dawajtje.« Und alles wird überwacht. Dann sind wir an der Reihe. Zuerst ein Polizist in Zivil: »Passport bitte.« Will er nur wissen, aus welchem Land wir sind? Ist es seine Art Neugier zu zeigen? Eine Frage nach dem Wohin und Woher hätten wir ihm sicher freudig geantwortet. Später fällt er uns im Nachbarabteil auf. Seit Taschkent ist er mit uns gereist. Ein Polizist der russischen Polizei, dem wir in Kasachstan gar nicht auskunftspflichtig sind.

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Alles harmlos. Diesmal haben sie es nicht auf unsere Gepäckstücke abgesehen. Nein, auf unsere Pässe. Zwei männliche Grenzer kontrollieren sie zuerst. Ein Stempel ist falsch. Sie holen eine Grenzerin hinzu: »Darf er einreisen?« Apathisch sagt sie: »Njet, das Visum ist geschlossen.«

»Aber er sitzt hier im Zug?«

Die Grenzerin tönt vom Gang, wird ausfallend. Ihre Kollegen sehen das alles nicht so eng, lächeln uns zu und schlagen ihr vor in Moskau anzurufen. Wir werden aus dem Zug geführt. Igor verschließt sofort das Abteil: »Ich passe auf.«

Von Zollbeamten begleitet werden wir zum Gebäude gegenüber geführt. Noch immer kollabiert die Grenzerin: »Der Stempel hier sagt aus, dass sie schon wieder aus Russland ausgereist sind. Ihr Visum ist zu.«

»Wir wissen doch nicht, wo die Stempel hin müssen.«

»Das Visum ist geschlossen.«

»Ich habe den Stempel doch nicht dort hingedrückt.« Wieder nimmt uns ein Grenzer in Schutz: »Erst einmal hinsetzen, wir telefonieren.« Da sitzen wir nun mit unserer Nervosität und unserer Unschuldigkeit. Es herrscht betriebsame Geschäftigkeit in den Zimmern nebenan. Wieder wird kontrolliert, organisiert und diskutiert. Pässe werden gedreht, mal auf den Kopf, mal seitwärts, mal richtig herum. Und in 20 Minuten fährt unser Zug. Endlich ein Ergebnis, die Pässe sind kopiert. Die Nummer ins Telefon gedrückt: »Hallo, Scheremetjewo«, ruft es. Das Faxgerät läuft heiß. »Wir können nichts lesen«, sagt der Grenzer. Türen schlagen, Polizistinnen die wechseln Zimmer und halten die Männer auf Tempo. »Dawajtje, poschaluista, der Zug fährt gleich.« Endlich, die Pässe, noch zwei Minuten und dann fährt der Zug. Stempel rotieren, Kugelschreiber notieren, signieren und die Pässe datieren auf heute.

Türen schlagen, und wir sind im Zug, doch er fährt nicht ab. Der Lenin blinkt vom Denkmal gegenüber, Soldaten stehen herum, so zur Zier, möge man meinen. Nichts zu tun, problema, Lampen leuchten. Zwei Männer schleppen ihr Gepäck aus einem Waggon am Ende des Zuges. Ist ihre Fahrt zu Ende? Müssen sie zurück, woher sie kamen? Die beiden Usbeken nach Taschkent. »Falscher Zug«, erklärt uns Igor. Das Abfahrtssignal ertönt und langsam kommt der Zug in Fahrt. Er passiert Flüsse, kahles Land und die bewaldeten Ausläufer des Uralgebirges. Verarmte Stationen, auf denen die Einwohner nahe gelegener Dörfer ihre Waren, den kurzzeitig aussteigenden Reisenden feilbieten, säumen den Schienenstrang. Und bald tauchen die ersten Erdgasfördertürme am Horizont auf. Samara ist nah.


»Usbekistan« – Reportagen aus dem Land der Märchen (2. Auflage)

Usbekistan - Reportagen aus dem Land der Märchen
Usbekistan – Reportagen aus dem Land der Märchen
(2. erweiterte Auflage)

November 2019 – 2. erweiterte Auflage, ISBN: 978-3-7494-9862-8 – 136 Seiten – 57 s/w Fotos – 8,99 Euro

Wenn wir in westeuropäischen Medien über Usbekistan referieren, beschränken wir uns all zu oft auf das Sterben des Aralsees. Wir sprechen von Gas-, Gold- und Ölvorkommen. Dort gedeihen Baumwolle und wird Uran gefördert. Es wimmelt an Geld. Doch Usbekistan ist mehr als eine Abschussrampe von kriegsfördernden Gerätschaften nach Afghanistan. Usbekistan beherbergt mehr als die hübschesten Städte der Seidenstraße: Samarkand, Buchara und Chiwa. Alles mag klingen wie in den Erzählungen aus Tausend und einer Nacht. Usbekistan ist jung, ist modern geworden. Hier leben Menschen. Sie haben ihre Vergangenheit, ihre Träume und ihre Liebe. Sie haben etwas zu sagen, zu berichten, zu erzählen… wovon wir etwas lernen dürfen.

Aus einer Periode des radikalen Umbruchs, einer Unsicherheit haben die Menschen eine Sicherheit gefunden, haben sich wieder eingerichtet, haben es sich gemütlich gemacht. Sie kämpfen mit einem Erbe, welches ihr Leben bestimmte, ebenso mit ungeklärten Grenzen und den Verzerrungen ihrer ureigensten Traditionen. Da ist es, ein Leben voller alter und neuer Schwierigkeiten und Hoffnungen.

So habe ich beschlossen, weder arrogant noch ablehnend noch wohlwollend zu sein. Ich hoffe, es ist mir geglückt, ein paar ehrliche Reportagen vorzulegen. Reportagen ohne Kommentar über Dinge, welche ich nur vom Hörensagen kenne. Ich weiß, es gibt vieles, was ich nicht verstehe, was ich nicht mag oder mir unangenehm ist. Doch trifft dies nicht immer auf fremde Länder zu? Deshalb handeln die Reportagen schlicht von dem, was mir begegnete. Es ist nicht die usbekische Geschichte schlechthin, sondern es sind ein paar usbekische Geschichten.

Und so hörte ich die usbekischen Aksakale sagen: »Um besser zu sehen, besteige die Berge; bewunderst du die Platane, so verneige dich vor ihren Wurzeln.« Wollen wir es ihnen gleich tun, betreten, begegnen wir Usbekistan, verneigen wir uns vor ihren Menschen.

enthaltene Reportagen

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Die Wolga

Gegen Abend beobachten wir das Treiben auf dem Bahnhof von Samara, modern konstruiert im Glasbaustil nach westlichem Vorbild. Auf dem Vorplatz haben sich die Händler aufgebaut und bieten ihre Waren zu überhöhten Preisen an. Und da sind sie wieder, die Bekanntschaften, welche sich zuweilen als schlichte Bettelei entpuppen. Ich höre die Frage der Händler: »otkuda?« Und wieder tritt eine Meinung auf, in Europa gebe es nur Millionäre und dort würde das Geld auf den Bäumen wachsen. »Haben Sie nicht ein Geschenk für mich?« sind die Fragen der Bettler, die uns sofort beim Stehen bleiben umringen.

Zwei Flaschen kaltes Wasser sind schnell erstanden und mit einem Fladenbrot im Gepäck geht es zum Bahnhof zurück. Gefüllt hat er sich immer noch nicht. Die Polizisten am Eingang zur Wartehalle leisten ganze Arbeit. Ohne gültige Fahrkarte kommt niemand hinein. Oft ist diese Prozedur sehr langwierig. Taschen werden durchsucht und Pässe inspiziert. Bis unser Zug einfährt, bleiben noch zwei Stunden, denke ich, als wir Batyr und Salai erblicken. Wie damals schaffen sie sich an ihren Taschen und wie vor zwei Jahren reiche ich ihnen mein Klebeband. Der provisorische Halt wird hergestellt. »Bis nach Hause wird es halten«, bedankt sich Salai. Wir setzten uns, verzehren gemeinsam ihre eben gekauften Piroggen und unser Fladenbrot. Und als es dunkelt, beide sich verabschieden, klopft mit Batyr auf die Schulter und sagt: »Wenn ihr wieder nach Usbekistan kommt, seid ihr keine Gäste mehr. Freunde sind immer willkommen.« Ein Zug hält, Lichter in den Abteilen blitzen auf. Sie steigen ein. Der Zug rollt an, die Nacht beginnt.

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