In den Ferien einmal »Landstreicher« sein (Teil 2)

Ein 3100-Kilometer-Fußmarsch durch die Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Irland

Angewiesen auf seine Füße und 20 Kilogramm Gepäck plus Banjo auf dem Rücken schlug sich der Autor dieser Reisereportage drei Monate ohne Geld durch Europa – von Coswig in die Schweiz, nach Frankreich, England und Irland. Er erlebte Abenteuer, Entbehrungen und viele hilfreiche Menschen.

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Mit dem Güterzug

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in Arles

»Hier wird keine Musik gespielt, junger Mann«, schrie mich einer der vier Männer der privaten Stadtpolizei an und fummelte an seinem Gummiknüppel. Ohne zu murren, packte ich mein Banjo ein und verschwand in der Menschenmenge. Ein Clochard, der mich beobachtet hatte, sprach mich in Französisch an, während er sich zu mir auf den Bürgersteig setzte: »Wusstest Du nicht, dass die Stadt einen rechten Bürgermeister hat? Dylan und Guthrie sind hier nicht gefragt.«

Die Temperatur war in den letzten Nächten nicht unter 20 Grad gefallen, sodass ich meinen Schlafsack an der Rhone nahe der alten Brücke Pont d’Avignon ausrollte. Mitten in der Nacht schreckte ich hoch, ein Algerier versuchte, mir mein Gepäck unter dem Kopf wegzuziehen. Ein älterer Tramper, der nicht weit von mir nächtigte, stand blitzschnell hinter mir und tippte auf seinen Knüppel.

Und weiter trugen mich meine Füße durchs französische Land. Rund 25 Kilometer nördlich von Nîmes stand ich im tief eingeschnittenen Tal des Gardon ehrfurchtsvoll vor einem 49 Meter hohen und 275 Meter langen römischen Aquädukt; dem Pont du Gard. Von hier aus nahm ich den direkten Weg zum Zentralmassiv.

Wieder prasselte die Sonne auf mich nieder, und die Straße, die leicht anstieg, schien kein Ende zu nehmen. Die Orte glichen einander: verstaubte Straßen, Industriegebäude und Lagerhallen vor den Städten. Arbeiterviertel, an deren Häusern die Balkone über die gesamte Hausbreite ragten. Ich kroch durch einen Zaun und fand in einem Holzunterstand einen geeigneten Platz für die Nacht.

Der Morgen war trüb. Ich schlenderte den Bahndamm entlang und erblickte einen Güterzug. Ein kurzer Blick zum Führerhaus, und ich sprang auf. Ab ging die Fahrt durch die Allierschluchten. Bonsaitannen an der einen und der Fluss Allier an der anderen Seite säumten den Schienenstrang. Ich machte mich lang, und der Wind pfiff um meinen Kopf …

Vollkommen ermattet und hungrig erreichte ich über Issoire, Moulin und Nevers endlich Paris. Schon eine Tasse Kaffee hätte mich an diesem Tag in Hochstimmung versetzt. Noch bevor ich mir eine billige Herberge suchte, führte mich mein erster Weg nach Montmartre zum Grab von Heinrich Heine.

In Paris lernte ich Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt kennen: aus Mexiko und den USA, aus Russland und Italien … Ein Türke lud mich nach London ein, wo er lebt und arbeitet. Die Tage verbrachte ich mit Banjospielen in der Metro oder ausgedehnten Stadtspaziergängen durch die Hauptstadt.

Nach vier Tagen ging ich auf einen 260 Kilometer langen Fußmarsch von Paris nach Calais und setzte nach Dover über.

Weitere Kilo an Körpergewicht verloren, weil die Lebensmittel in England so teuer sind, leistete ich mir von meinem in Paris verdienten und gesparten Geld eine Jugendherberge in Eastbourne. Ich traf drei Deutsche, mit denen ich eine Wanderung entlang der weißen Steilküste Beachy Head unternahm.

Vom Tellerwäscher zum wilden Camper

Sechs Wochen nach dem ich von zu Hause los gereist war, erreichte ich London, die hektischste Stadt auf meiner Reise. Hier konnte ich mich bei meinem türkischen Freund erst einmal richtig satt essen, bevor ich für eine Woche zwei Aushilfsjobs als Fahrradkurier und Tellerwäscher annahm. Harmonisch und ohne Vorurteile lebten Neuseeländer, Türken und ich in einem Haus zusammen.

Über den 40 Jahre alten, touristisch bestürmten Steinkreis Stonehenge im Zentrum Südenglands brachte mich die Fähre am 24. August zum Land des Regenbogens oder der Grünen Insel – nach Irland.

Meine erste Station war Wexford, in der ich mit einer unübertrefflichen Freundlichkeit empfangen wurde. »Spiel doch was auf deinem Banjo«, bat mich der Wirt und spendete mir ein warmes Abendessen.

Inzwischen war es kälter geworden, trotzdem lief ich barfuß, da meine Schuhsohlen inzwischen durchlöchert waren. Die Regenzeit hatte begonnen, täglich goss es mindestens zwei Stunden. Ich bemühte mich, in der trockenen Zeit einige Meter zu laufen und gleich bei den ersten Tropfen nach einem Unterschlupf zu suchen. In Irland kann man an vielen Orten »wild« campen. Um mich vor dem starken Wind zu schützen, baute ich mein Zelt oft in den zahlreichen alten Abbys auf.

Über Kilkenny, der ehemaligen Hauptstadt Irlands, schlug ich mich zum Killarney-Nationalpark im Südwesten durch. Ein Traum eines jeden Naturfreundes: unberührte Natur, Tiere, die wir sonst nur im Zoo sehen, sind hier in freier Wildbahn zu erleben.

Nördlich von Killarney, wohl eine der farbenfrohsten Städte Irlands, folgte ich ab Kilrush einem alten Burenweg, vorbei an Hochkreuzen, Dolmen (Gräbern), über Bergkuppen aus porösem grauen Gestein, an Flüsschen entlang, die im schrundigen Boden verschwinden und vorbei an Seen, die sich heute bei strömendem Regen füllen und morgen wieder leergelaufen sind. Die Flora ist ein einzigartiges Gemisch von alpinen und mediterranen Gewächsen. In Doolin am Atlantischen Ozean, in der Nähe der Cliffs of Moher war meine Wanderung nach drei Monaten und 3100 Kilometern zu Ende.

Steilküste Beachy Head in Eastbourne
Steilküste Beachy Head in Eastbourne

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»Zu Fuß von Dresden nach Dublin« – 3100 Kilometer ohne Geld durch Europa (2. Auflage)

2. Auflage – Mai 2021 – 2. Auflage – ISBN: 978-3-7534-0206-2 – 408 Seiten – 103 s/w Fotografien – 13,90 Euro

»Dein Buch ›Zu Fuß von Dresden nach Dublin‹ kann man nur wärmstens empfehlen …«

(Reiner Meutsch – RPR1 Rheinland – Pfälzische Rundfunk)
»Zu Fuß von Dresden nach Dublin« - 3100 Kilometer ohne Geld durch Europa
»Zu Fuß von Dresden nach Dublin« – 3100 Kilometer ohne Geld durch Europa (2. Auflage)

3100 Kilometer legte Jan Balster zurück – auf Schusters Rappen, wie man so sagt. Vom Ufer der Elbe bis an den Atlantik, quer durch Westeuropa via Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Irland.
Das Besondere war nicht nur die Art des Reisens, sondern auch die Umstände: Jan Balster hatte keinen Euro in der Tasche.

Sein lebendiger, anschaulicher Bericht aus dem Jahr 1998 über eine ungewöhnliche Entdeckungstour ist mehr als nur Mitteilung über ein Abenteuer. Es ist auch eine überzeugende Einladung, mal über den deutschen Tellerrand zu schauen. Balster ermuntert und ermutigt mit seinem Beispiel, aus dem alltäglichen Trott auszubrechen. Dazu bedarf es keines gefüllten Kontos, sondern nur etwas Mut und Selbstvertrauen. Und Freunde finden sich überall, die einem weiterhelfen.

Der Mann widerlegt zwei Thesen. Erstens, dass man die Taschen voller Geld haben müsse, um die Welt zu entdecken. Und zweitens, dass es Abenteuer nur noch in der Arktis oder in Asien zu erleben gebe. Nein, man kann sie auch im Alten Europa bestehen.

Jan Balster bestätigt aber zugleich auch die These, dass Weltanschauung dadurch entsteht, dass man sich die Welt anschaut und mit Menschen spricht.

Der Mann ist quer durch Westeuropa marschiert. Er traf auf Deutsche, Schweizer, Franzosen, Briten und Iren. Er nächtigte im Straßengraben und auf Campingplätzen, in Obdachlosenasylen und in Jugendherbergen, in Scheunen und in Garagen. Er lebte vom Banjo-Spielen und vom Betteln, er verdiente sich Geld als Fahrradkurier in London und bei Gelegenheitsarbeiten. Er traf auf Hilfe und harte Zurückweisung, auf Zustimmung und auf Ablehnung.

Balster hat alles aufgeschrieben. Ohne Kommentar. Und zeigt, wie nah sich Menschen auf unserem Kontinent sind – und wie fern. Jan Balster kam klüger nach Hause, als er es zuvor war.

Der Leser ist es nach der Lektüre auch.


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