Ein 3100-Kilometer-Fußmarsch durch die Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Irland
Angewiesen auf seine Füße und 20 Kilogramm Gepäck plus Banjo auf dem Rücken schlug sich der Autor dieser Reisereportage drei Monate ohne Geld durch Europa – von Coswig in die Schweiz, nach Frankreich, England und Irland. Er erlebte Abenteuer, Entbehrungen und viele hilfreiche Menschen.
Dreißig Grad im Schatten, einen Franken in der Tasche und seit drei Tagen nichts Richtiges gegessen, so stand ich in Andermatt, einige Kilometer vor dem Furkapass, der über die Alpen führt. Etwa 200 Kilometer lagen jetzt hinter mir, seit ich vor einer Woche in Coswig gestartet war. Ich hatte den ersten Zug nach Konstanz genommen und absolvierte am selben Tag noch 35 Kilometer bis nach Sirnach, wo ich die erste Nacht an der Straße verbrachte. Der Regen ließ mich schon frühzeitig nach Stäfa aufbrechen.
Am übernächsten Tage startete ich gleich zum Vierwaldstätter See, nach Brunnen, wo ich die Nacht in einem Heuschober unterkam. Es war ein leichtes Auf und Ab der Berge. Mit gesättigtem Magen und Marschverpflegung für zwei Tage ließ es sich gut bis Andermatt auskommen.
Kurzerhand gab ich am Bahnhof mein Gepäck nach Brig auf und handelte mit der freundlichen Dame aus, dass ich erst in Brig zahlen werde. Mein Banjo, der Schlafsack und der Regenumhang blieben bei mir.
Wandern mit »Gepäck-Transfer«
Ich selbst setzte mich per pedes Richtung Brig in Bewegung. Der Furkapass ließ meine Füße schnell müde werden, sodass ich mir frühzeitig, nachdem mich ein Schweizer zum Abendessen eingeladen hatte, ein Nachtquartier in der Natur suchte. Traumhaft ragten die Alpen in die Wolken. Klare Flüsse, die mir oft eine Morgendusche boten, durchzogen die Berge.
Als Straßenmusikant verdiente ich mir in Brig mein erstes Geld. Es half, den Hunger zu besänftigen und den Zeltplatz zu bezahlen. Frisch gewaschen und ausgeschlafen marschierte ich weiter durch das enge, erdrückend wirkende Waliser Tal, die Straße links und rechts bebaut mit Baumärkten und großen Einkaufszentren.
Die Städte Sion, Sierre und Martigny glichen einander so sehr in ihrer Trostlosigkeit, dass ich nicht verweilen wollte. Einzig sehenswert ist der kleine Ort Raron mit seiner etwas oberhalb gelegenen Burg, wo sich die letzte Ruhestätte des Dichters Rainer Maria Rilke befindet – und ich eine Nacht schlief.
Kein Land, das ich durchwanderte, bot solche krassen Gegensätze wie Frankreich. Chamonix am Fuße des Montblanc war die erste größere Stadt. Ich mischte mich unter die Leute, spielte Banjo und verdiente mir etwas Geld. Es regnete seit zwei Tagen, und ich hatte Mühe, einen trockenen Ort für mein Zelt zu finden. Doch ich sollte Glück haben, drei Kilometer nördlich von Soullanches lag ein kleiner, aber mit dem nötigsten Komfort ausgestatteter Zeltplatz. Hier machte ich Bekanntschaft mit zwei Belgiern, die mir die erste warme Mahlzeit seit Tagen bereiteten.
Zelten in freier Natur, im Blick den Mont-Blanc, dessen Spitze die abendliche Sonne berührt, während sie im Tal schon gänzlich verschwunden war, und nette Menschen. Was braucht man sonst noch im Urlaub?
Knurrender Magen oder Mut zum Betteln
Der Asphalt war grobkörniger geworden und ließ mich schneller als gewohnt ermüden. Wieder ging mir das Geld aus, und so irrte ich stundenlang durch die Straßen Lyons.
Eine Bäckerei. Ich blieb stehen, schaute durch das reich bestücke Schaufenster und zog den kräftigen Duft frischen Brotes durch die Nase. Mein Magen knurrte. Ich wartete, bis sich kein Kunde mehr im Laden befand, betrat ihn langsam und bat die junge Verkäuferin, allen Mut in mir zusammennehmend: »Haben Sie etwas zu Essen übrig?« Meine Kleidung ansehend, brauchte sie mich gar nicht nach Geld zu fragen. Wenn der Mensch Geld hat, ist er Kunde. Wenn nicht, ist er der Speck der Stadt, der mit durchgefüttert werden muss. Ich bekam Kuchenränder und ein halbes Brot, das frisch war. Nachdem ich zwei Nächte auf dem Lyoner Bahnhof Perrache verbracht hatte, folgte ich wieder der Rhone. Diesmal in Richtung Süden. In Vienne schickte ich mein Gepäck nach Valence und legte die Strecke von 200 Kilometern nach Vallon-Pont-d’Arc in zwei Tagen zurück. Von dort gelangte ich über den Gorges de l’Ardèche – ein schmales, tief in den Schluchten liegendes Tal, durch das sich das Flüsschen Ardèche zwängt – nach Orange.
mehr Informationen und Video zum Buch
»Zu Fuß von Dresden nach Dublin« – 3100 Kilometer ohne Geld durch Europa (2. Auflage)
2. Auflage – Mai 2021 – 2. Auflage – ISBN: 978-3-7534-0206-2 – 408 Seiten – 103 s/w Fotografien – 13,90 Euro
»Dein Buch ›Zu Fuß von Dresden nach Dublin‹ kann man nur wärmstens empfehlen …«
(Reiner Meutsch – RPR1 Rheinland – Pfälzische Rundfunk)
3100 Kilometer legte Jan Balster zurück – auf Schusters Rappen, wie man so sagt. Vom Ufer der Elbe bis an den Atlantik, quer durch Westeuropa via Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Irland.
Das Besondere war nicht nur die Art des Reisens, sondern auch die Umstände: Jan Balster hatte keinen Euro in der Tasche.
Sein lebendiger, anschaulicher Bericht aus dem Jahr 1998 über eine ungewöhnliche Entdeckungstour ist mehr als nur Mitteilung über ein Abenteuer. Es ist auch eine überzeugende Einladung, mal über den deutschen Tellerrand zu schauen. Balster ermuntert und ermutigt mit seinem Beispiel, aus dem alltäglichen Trott auszubrechen. Dazu bedarf es keines gefüllten Kontos, sondern nur etwas Mut und Selbstvertrauen. Und Freunde finden sich überall, die einem weiterhelfen.
Der Mann widerlegt zwei Thesen. Erstens, dass man die Taschen voller Geld haben müsse, um die Welt zu entdecken. Und zweitens, dass es Abenteuer nur noch in der Arktis oder in Asien zu erleben gebe. Nein, man kann sie auch im Alten Europa bestehen.
Jan Balster bestätigt aber zugleich auch die These, dass Weltanschauung dadurch entsteht, dass man sich die Welt anschaut und mit Menschen spricht.
Der Mann ist quer durch Westeuropa marschiert. Er traf auf Deutsche, Schweizer, Franzosen, Briten und Iren. Er nächtigte im Straßengraben und auf Campingplätzen, in Obdachlosenasylen und in Jugendherbergen, in Scheunen und in Garagen. Er lebte vom Banjo-Spielen und vom Betteln, er verdiente sich Geld als Fahrradkurier in London und bei Gelegenheitsarbeiten. Er traf auf Hilfe und harte Zurückweisung, auf Zustimmung und auf Ablehnung.
Balster hat alles aufgeschrieben. Ohne Kommentar. Und zeigt, wie nah sich Menschen auf unserem Kontinent sind – und wie fern. Jan Balster kam klüger nach Hause, als er es zuvor war.
Der Leser ist es nach der Lektüre auch.
1 thoughts on “In den Ferien einmal »Landstreicher« sein (Teil 1)”