Begegnungen am Schienenstrang – Transsibirische Eisenbahn
backpacking Reisereportage Russland: 20000 km mit der Transsibirischen Eisenbahn von Ulan-Udé nach Wladiwostok (Teil 2)
Am Kilometerstein 5647 liegt die Hauptstadt der Republik Burjatien: Ulan-Udé. Hier befindet sich nicht nur der Abzweig zur transmongolischen Route, die über die Mongolei nach China führt, nein. Knapp 40 km westlich der Stadt, an den Ausläufern des Chamar-Daban-Gebirges erhebt sich das zentrale Heiligtum des Buddhismus in Russland, das Lamakloster Ivolginsk.
Als ich in Ivolga ankomme, haben sich die Bauern aus dem Bus bereits auf den Feldern entlang der Straße verteilt. Das Klostergelände ist eingezäunt. 1949 wurde das Gelände errichtet, auf dem derzeit 50 Mönche sowie der Hambo-Lama, der oberste Lama Russlands, leben. Die Mönche erhielten ihre Ausbildung in der Mongolei. Und die Beziehungen zu anderen Buddhisten aus aller Welt, insbesondere auch Tibet wurden Dank der allgemeinen Öffnung enger, erklärt eine alte Burjatien: »Schauen sie sich alles nur genau an«, betont sie. »Vielleicht können Sie etwas lernen.« Gebetsmühlen knarren und an den weiß getünchten, pyramidenartigen Kultstätten verbeugen sich die Gläubigen und berühren sie mit der Stirn, den Lippen oder den Händen. Sie stehen erhöht, dem Buddha näher.
Im Haupttempel, der von Löwen- und Drachenfiguren bewacht wird, herrscht leises Getuschel. Zwei junge Mönche werfen sich ehrfurchtsvoll zu Boden, richten sich wieder auf und wiederholen die Zeremonie, immer auf den Großen Buddha blickend. An den Wandtafeln links des Einganges, ich bewege mich gemäß des buddhistischen Glaubens im Uhrzeigersinn, hängen die Bilder des Dalai-Lama, der Ivolginsk 1991 und 1993 besuchte. Tee und Würfelzucker stehen auf den Bänken, die mit reich verzierten Teppichen bekleidet sind. Und gleich nahe des Eingangs, neben dem kleinen Souvenirstand hängt ein Schild: »Achten Sie den buddhistischen Glauben, wenn Sie diese Tempelanlage besichtigen«, in russisch, mongolisch und englisch. Darunter zu lesen: »200 Rubel für zwei Fotos, 500 Rubel für fünf Fotos.« Und noch ehe ich die Treppe ins freie hinabsteigen kann, spricht mich ein Mönch darauf hin an: »Fotoerlaubnis!?«
Der Arbeitstag beginnt, Souvenirhändlerinnen preisen ihre Waren an und mich beschäftigt die Frage: Wovon leben die Mönche? Ich weiß es nicht. Und außerdem, da kommt der Bus. Zurück nach Ulan-Udé.
Irina, die Provodniza, habe ich wieder. Der Zug war inzwischen einmal die Strecke von Moskau nach Wladiwostok und zurück und wieder nach Ulan-Udé gefahren. Nochmals habe ich in ihrem Waggon ein Bett gefunden. Und wieder bin ich nach Osten unterwegs. Eine Reise in die große Natur der Russen, seine extrem schwankende Unausgeglichenheit, inmitten seiner Gleichgültigkeit dem Begriff Zeit gegenüber, dem Irgendwie wird es schon gehen, das sich in ihren schwermütigen Liedern in Melancholie ausdrückt. Immer tiefer dringe ich in die Weiten Sibiriens ein. Und wenn ich abends die Gardine zuziehe, sich das Sonnenlicht über die Birken, Steppen oder Sümpfe legt, so scheint es mir, als ich sie morgens wieder öffne, ich wäre keinen Kilometer gefahren.
In Svobodnyj ist Irina aufgeregt. Sie schreit in den Gang, und die Abteiltüren öffnen sich. Ihre Stimme hebt und senkt sich: »Passen Sie auf Ihre Kinder auf.« Und sie berichtet von Unfällen, wo sich Kinder ein Auge ausstachen, als sie vom obersten Bett hinab turnten. »Blutige Köpfe sind noch harmlos«, meint sie. Die Eltern mögen ihre Kinder bitte vor dem Zughalt zur Toilette schicken: »Der Fahrplan hängt in jedem Waggon gegenüber dem Provodnikabteil aus«, faucht sie. »Ich muss dafür aufkommen, wenn jemand die Toilettentür aufbricht.« Dann senkt sich ihre Stimme. Nadja, ein sechsjähriges Mädchen, das neben ihr steht, blickt traurig. Da lächelt Irina. Nadja auch. Und beide schließen sich in ihre Arme.
»Ab Chabarowsk ist der Amur schiffbar«, erklärt mir Grigori. »Die Schiffe müssen genau in der Fahrrinne schiffen. Zum Ausbaggern ist kein Geld vorhanden.« Und Natascha, die er liebevoll Nataschka nennt, stimmt ihm zu. Er ist Lehrer für Japanisch an der hiesigen Sprachschule, und sie unterrichtet die Schüler der Grundschule in Literatur und russischer Sprache. »Uns geht es besser als den meisten unserer Leute«, meint Natascha, während sie sich ihre schwarzen, langen Haare durch bürstet. Sie haben eine hübsche Wohnung, ausgestattet mit der Technik eines westlichen Appartements, im ersten Stock. Vor der Haustür parkt ihr gemeinsames Auto, das Lenkrad auf der rechten Seite, Import aus Japan, wie die meisten Einwohner Ostsibiriens. Und jedes Jahr fahren sie zu seinen Eltern, die eine Hütte in der Wildnis besitzen, 600 km nördlich von Chabarowsk für sechs Wochen in die Ferien. »Zwei bis drei Mal im Jahr reisen wir dann noch nach Japan«, fügt Grigori stolz hinzu.
Ich will hinaus fahren mit dem Schiff, auf die andere Seite des Amurs, dahin, wo das Ufer nicht bebaut ist. Vielleicht ein wenig baden im 14°C kühlen Wasser des Flusses oder einfach nur ausspannen von den langen Zugfahrten der vergangen Wochen. Nichts da. Die Fahrpläne an den Anlegestellen bleiben mir ein Geheimnis. So kaufe ich einen 0,5 Liter Becher, gefüllt mit Kwas, einem russischen Erfrischungsgetränk aus gegärtem Brot, an einem der Kesselwagen, die ich beinah an jeder dritten Straßenecke in der Stadt vorfinde. Damit setzte ich mich an den Strand.
Zurück im Hause Grigoris und Nataschas, wo ich einige Tage lebe. Grigori schmunzelt. Ein Anruf seinerseits klärte meine Unsicherheit. Und so kam ich am folgenden Tag doch noch in den Genus auf dem Amur, vorbei an verfallenen Anlegestellen und einsam in ihren Kähnen und Schlauchbooten sitzenden Anglern, zur mit 2,6 km, somit längsten Brücke Russlands, zu schiffen.
Der Zug passiert Flüsse und kahle Felsen, nur wenige Kilometer ist die Grenze zu China entfernt. Wo man bei gutem Wetter entlang der Bergkette die russischen Wachtürme erkennen kann. Verarmte Stationen, auf denen die Einwohner nahe gelegener Dörfer ihre Waren, den kurzzeitig aussteigenden Reisenden feil bieten, säumen den Schienenstrang. Ich denke an die Menschen, deren Schweiß in der Bahnstrecke begraben liegt. Wie viele haben beim Bau ihr Leben verloren? Wie viele wurden von den schweren Rädern eines Zuges, noch im Sprung von den Gleisen, aus ihrem Leben gerissen? Menschenschicksale. Verbannte, illoyal gegenüber den Herrschenden des Landes, Verarmte, deren letzte Hoffnung der Bahnbau war, Arbeit und Brot zu finden, Taschendiebe und Spieler, Schmuggler und Träumer. Doch alles das ist nichts gegen ihren unbändigen Willen zum Leben und den Stolz auf ihre Hände Arbeit, der sich den Menschen dieses Reiches, Russlands in ihrem Handeln ausdrückt.
Alles begann 1891 in Wladiwostok, als Zarewitsch Nikolai mit einer voll geschaufelten Schubkarre symbolisch das Jahrhundertprojekt eröffnete. Wladiwostok, beherrsche den Osten, lautet die Übersetzung aus dem russischen, das Tor zum Pazifik, zu Sowjetzeiten nicht nur gesperrt für Ausländer, wichtigster Flottenstützpunkt der Marine und ohne Zweifel, eine der interessantesten Städte Russlands.
Aufwendig wurde der Bahnhof restauriert, der erste oder letzte Eindruck eines Transsib-Reisenden. Auf den Bahnsteigen streunen Hunde, selbst gezeichnet von den Kollisionen mit den Zügen, umher, Menschen sitzen auf ihren blau, weiß karierten Taschen, der Zugansage lauschend, und Kinder tollten neugierig umher. Sieben Tage und sieben Nächte ist die Hauptstadt entfernt, doch hier, ist sie schon da, wie an jeder Uhr, in jedem Bahnhofsgebäude entlang der Transsibirischen Eisenbahn, die Moskauer Zeit.
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DVD: Russland – entlang der Transsibirischen Eisenbahn
ein Dia-, Ton- Vortrag (DVD Video) von Jan Balster
Eine ganz besondere und sehr weite Reise. Eine Tour durch acht Zeitzonen. Russland bis tief in den Osten nach Sibirien mit der Transsibirischen Eisenbahn. Entlang der klassischen Route der Transsib, von Moskau über das sibirische Irkutsk, dem Baikalsee, dem heiligen Meer der Russen nach Wladiwostok, fast 9300 Kilometer.
Inhalt: St. Petersburg, Moskau, Ekaterinburg, Irkutsk, Listwjanka und Baikal, Chabarowsk, Wladiwostok
Sehen Sie sich einige Bilder an und lassen Sie sich verführen.DVD Spielzeit: 1:15 h, abspielbar mit allen handelsüblichen DVD-Playern, ab 4,99 Euro
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Der Bericht macht mich sehnsuchtsvoll. Ich war einmal im Ural und möchte eigentlich noch einmal zum Baikalsee. Ihre Berichte werde ich gerne einmal lesen. Lieben Gruß und weiter viele spannende Momente.
Vielen Dank und Freude beim Lesen und Reisen. Grüße Jan